Work in progress: FOSS beim Prototype Fund

  • Aus dem Prototype Fund

Es war einmal, vor langer Zeit, da haben wir eine Reihe in unserem Blog gestartet, in dem wir als Team Prototype Fund unsere Erfahrungen mit dem Umstieg auf möglichst viele FOSS-Tools teilen wollten. Mehr als fünf Jahre später ist es (endlilch!) an der Zeit für ein Update. Auch wenn wir nicht die Zeit gefunden haben, über unsere Fortschritte zu berichten, haben wir dennoch einige neue Tools ausprobiert, Fortschritte gemacht und viel gelernt.

Die Blogreihe begann mit diesem Post und unserem Wechsel von Slack zu Rocket.Chat. Der Prototype Fund stand kurz vor seiner fünften Förderrunde und unser erster Schritt zur Nutzung von FOSS-Tools war die Einrichtung unserer ersten selbst gehosteten Chat-Instanz. Ein paar Monate später haben wir in einem zweiten Beitrag erklärt, warum es wichtig ist, schnelle Entscheidungen zu vermeiden und Strukturen langsam aufzubauen - damals waren wir mit der Planung unserer eigenen Nextcloud-Instanz beschäftigt.

Lieber langsam als knapp daneben

Was ist also in all diesen Jahren geschehen? Verwendet der Prototype Fund jetzt ausschließlich FOSS-Tools? Natürlich nicht. So wunderbar die Idee auch klingt, leider gibt es viele Gründe, die einem Verzicht auf proprietäre Tools entgegenstehen. Dennoch gehen wir langsam und Schritt für Schritt den Weg in Richtung FOSS.

Warum so langsam? Erstens, ganz einfach: weil wir nicht allein arbeiten. Der Prototype Fund funktioniert als Produkt mehrerer miteinander kollaborierenden Akteure. Wir arbeiten mit Behörden zusammen, für die wir z. B. Excel-Tabellen mit Makros öffnen können müssen (die LibreOffice immer mal wieder kaputt macht), mit Druckereien, die spezielle Anforderungen haben, die Inkscape noch nicht erfüllen kann, und mit Coaching-Firmen, die ihre eigene bestehende und für sie gut funktionierende Infrastruktur haben. Wir sind auch Teil der viel größeren Open Knowledge Foundation Deutschland, die genau wie wir darauf hinarbeitet, mehr FOSS einzusetzen, aber aufgrund ihrer Größe in einem langsameren Tempo - und wir wollen immer noch mit unseren Kolleg*innen aus anderen Teams arbeiten können.

Zweitens ist der Wechsel von Infrastruktur ein langwieriger und mühsamer Prozess. Dafür werden Zeit und Energie (und oft auch Geld) benötigt. Das ist besonders dann der Fall, wenn eine Entscheidung nicht nur unser Team und unsere Prozesse betrifft, sondern auch die Menschen, die wir fördern. Die Umstellung auf ein neues Tool oder eine neue Plattform bedeutet, dass wir unsere Geförderten und Alumni*ae dazu bewegen müssen, die neue Plattform auch zu nutzen. Selbst wenn diese besser ist, muss jede*r einen neuen Account anlegen und lernen, das Tool zu nutzen, was durchaus Aufwand bedeuten kann. Dabei werden immer einige aufgeben und den Zugang zur Community verlieren.

Und nicht zuletzt: Weil wir Zeit brauchten, um uns auf andere Dinge zu konzentrieren, wie z.B. die Unterstützung der von uns geförderten Projekte und die Sicherung von Mitteln für künftige Runden. FOSS zu nutzen kann (leider) nicht immer unsere oberste Priorität sein.

Tools, Tools, Tools

Wo stehen wir also jetzt? Welche FOSS-Tools nutzt der Prototype Fund bereits und wie läuft es?

Nextcloud

Im Jahr 2019 hatten wir angekündigt, dass wir zu Nextcloud wechseln wollten, und genau das haben wir auch getan! Es handelte sich um eine selbst gehostete Instanz, die nicht sehr leistungsfähig oder zuverlässig war. Wir haben jedoch nicht aufgegeben, und als die Open Knowledge Foundation vor ein paar Jahren zu einer managed Nextcloud gewechselt hat, sind wir mitgezogen. Endlich keine Google Docs mehr beim Prototype Fund!

Zulip / Stackspin / HedgeDoc

Tschüss, Rocket.Chat; hallo, Zulip! Nachdem wir einige Jahre mit Rocket.Chat gekämpft haben, mussten wir aufgeben. Wir sind jedoch nicht zu Slack zurückgekehrt. Stattdessen haben wir den Rat unserer Kolleg*innen von Jugend Hackt berücksichtigt und eine Zulip-Instanz eingerichtet. So konnten wir direkt auch die von uns geförderte Suite Stackspin nutzen, die nicht nur Zulip, sondern auch eine HedgeDoc-Instanz enthält, die wir für gemeinsame Notizen nutzen.

Hypha

Jetzt wird‘s ein bisschen nischiger: Förderer brauchen Bewerbungsplattformen, und nur wenige davon sind quelloffen. Im Jahr 2023 haben wir die proprietäre Plattform, die wir seit der Gründung des Prototype Fund genutzt haben verlassen und unsere eigene Instanz von Hypha, eine vom Open Technology Fund entwickelte Bewerbungs- und Förderungverwaltungssoftware, eingesetzt. Auch wenn das Tool (noch) nicht vollständig auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten ist, planen wir, einige Features beizusteuern, die Hypha hoffentlich für uns und andere Förderer verbessern werden - ganz im FOSS-Spirit.

Craft CMS

Vor kurzem haben wir unsere neue Website gelauncht! Auch wenn unsere vorherige WordPress-Website nicht auf einem proprietären Tool basierte und Craft CMS nicht vollständig Open Source ist, freuen wir uns den Code unserer Website auf GitHub verfügbar zu machen. Darüber haben wir hier geschrieben.

Pretix

Auch dieses Projekt wurde von uns gefördert und wir freuen uns, es nutzen zu dürfen! Pretix hat die Anmeldungen für unsere Veranstaltungen per E-Mail überflüssig gemacht und funktioniert wunderbar!

BigBlueButton, MediaWiki, Openbookstack, LimeSurvey, EasyAppointments

Die klassischen Tools der selbst-gehosteten FOSS-Welt, die wir brauchen, um Calls zu führen, Informationen mit unseren Geförderten zu teilen, eine Knowledge Base für FOSS-Communities zu pflegen, Umfragen durchzuführen und Termine zu vereinbaren nutzen wir natürlich auch.

...und natürlich alle Tools, an die wir nicht denken, die wir aber täglich auf unseren Laptops benutzen: LibreOffice, Inkscape, Octosuite, Atrain, Ubuntu... Wir vergessen bestimmt viele!

Learnings: The good, the bad and the ugly

In der Hoffnung, dass sie anderen Teams und Organisationen helfen, folgen hier unsere wichtigsten Erkenntnisse aus den vergangenen Jahren.

The Good: Was funktioniert und sich als sehr hilfreich erwiesen hat.

  • Kommunikation mit der Community! Sich einfach auf die erste FOSS Alternative zu einem Tool stürzen, das man ersetzen möchte, ist keine gute Idee. Bei der Suche nach einem neuen Tool sollte man am besten die Menschen um einen herum fragen, welche Tools sie verwenden, wie sie sie verwenden und welche Erfahrungen sie damit gemacht haben. Wenn möglich: Einen Blick auf die Tools im aktiven Einsatz werfen, denn eine Chat-Instanz, die mit Nutzer*innen und Nachrichten gefüllt ist, liefert viel mehr Informationen als eine technische Beschreibung und ein paar Screenshots.
  • Mit Expert*innen zusammenarbeiten: Selbst zu Hosten ist eine gute Option, wenn man über die notwendigen internen Kapazitäten und Kenntnisse verfügt, aber nur wenige kleine Organisationen haben die Ressourcen, um alle benötigten Tools selbst zu hosten. Zum Glück gibt es hervorragende Hosting-Unternehmen, die sich für Datenschutz, FOSS und alles, was uns wichtig ist, einsetzen. Wir arbeiten zum Beispiel sehr gerne mit Cloud68 und Greenhost zusammen. Sich dabei nicht um Updates kümmern zu müssen, ist ein Luxus, den wir sehr genießen.

The Bad: Diese Fehler hätten wir gerne vermieden.

  • Zu viele Tools: Die wunderbare FOSS-Welt hat so viel zu bieten, dass man sich leicht dazu verleiten lässt, alles zu testen und einsetzen zu wollen. Mit neuen FOSS-Tools zu spielen kann sicherlich ein unterhaltsames Hobby sein, wenn man die Zeit dazu hat, aber wenn diese begrenzt ist, sollte man sich auf das Wesentliche konzentrieren. Vermutlich braucht ein Team eher nicht mehrere Tools für Videokonferenzen. Und nutzt wirklich irgendjemand im Team dieses Kanban-Board, diese schicke Notion-Alternative und die neue Etherpad-Instanz?
  • Tools, die noch nicht einsatzbereit sind: Es braucht Zeit, bis eine Software ausgereift ist, zuverlässig funktioniert und bewiesen hat, dass sie ihre Nutzer*innen nicht hängen lässt, wenn die Entwickler*innen keine Lust mehr haben. Neue Tools klingen zwar aufregend, aber wenn man etwas sucht, was man regelmäßig nutzen kann, dann sollte man auf Softwareprojekte zurückgreifen, die es schon länger gibt, die regelmäßig gut getestete Updates herausbringen und die über eine starke Community verfügen. Bonuspunkte gibt es, wenn man darauf vertrauen kann, dass das Tool nicht plötzlich eine dieser "Hallo, wir sind jetzt Open Core"-Aktionen durchführt, bei denen die Features, die man liebt und braucht, plötzlich nicht mehr FOSS sind.
  • Schnelle Entscheidungen: Die Umstellung auf eine neue Infrastruktur braucht Zeit. Die Einrichtung und die Migration von Daten sind zwar offensichtliche Aufgaben, aber Teams brauchen dann auch Zeit, um sich mit dem neuen Tool vertraut zu machen und zu experimentieren. Besonders wichtig ist das bei öffentlich zugänglichen Instanzen. Eine öffentlichen Bewerbungsphase zu starten und gleichzeitig zu lernen, wie unsere neue Bewerbungsplattform funktioniert, hat sich für uns so ähnlich angefühlt, wie ein Flugzeug zu fliegen und es gleichzeitig zu reparieren.

The Ugly: nie wieder!

  • Man sollte niemals ein Tool einrichten, ankündigen und Benutzer*innen onboarden, ohne vorher zu prüfen, ob es wirklich geeignet ist. Am Ende kämpft man jahrelang damit, bevor man aufgibt und das Ganze mit einem ähnlichen neuen Tool wiederholen muss. Klingt eigentlich logisch, aber diesen (gut gemeinten) Fehler macht man schneller, als man denkt.

Bonus Learning: Leichter gesagt als getan.

Am einfachsten wäre es, beim Aufbau einer Organisation von Anfang an auf FOSS-Tools zu setzen. Das ist allerdings leichter gesagt als getan, denn neue Organisationen haben selten die notwendigen Ressourcen, um Zeit, Geld und Energie in eine sorgfältig geplante Infrastruktur zu investieren. In der Regel entwickelt sich alles organisch, indem man das verwendet, was am einfachsten und billigsten oder schnellsten funktioniert. Auch Technologien entwickeln sich rasend weiter - so wurde Nextcloud beispielsweise im selben Sommer wie der Prototype Fund ins Leben gerufen, und das Vorgängerprojekt hätte zu diesem Zeitpunkt nicht alle Anforderungen unserer jungen Organisation erfüllt. Aber wenn man die Möglichkeit hat ist es beim Aufbau einer neuen Organisation immer eine gute Idee, FOSS-Tools möglichst von Anfang an in die Prozesse zu integrieren, um später keinen Mehraufwand zu verursachen.

Marie Kreil sie/ihr

Co-Leitung Prototype Fund

Marie leitet den Prototype Fund gemeinsam mit Patricia. Sie hat Literatur und Kulturjournalismus studiert und war zuvor an verschiedenen Projekten an der Schnittstelle zwischen Journalismus, Datenschutz und FOSS beteiligt.

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