Usability und Zielgruppenfokus in Open-Source-Projekten — Evaluation der Prototype Fund Runden 15 & 16
- Wissen teilen

- Foto von Sebastian Dumitru auf Unsplash
„Seamlessness“, also die möglichst reibungslose Nutzungserfahrung, ist im UX Design ein Kernziel, für Apps und Websites, aber auch für Softwarebausteine. Der Erfolg vieler dominanter, profitorientierter Anwendungen liegt oft auch in bequemen Voreinstellungen und dem Fokus darauf, möglichst viele Nutzer*innen zu erreichen, nicht zuletzt weil die Profitorientierung dazu einen Anreiz setzt. Freier- und Open-Source-Software (FOSS) hingegen haftet die verbreitete Annahme an, dass Design, Usability und Zielgruppenorientierung nur eine untergeordnete Rolle spielen — kein Schnickschnack, aber eben auch kein Fokus auf die Nutzungserfahrung. Die vermuteten Gründe dafür sind vielseitig. In unserem Evaluationsbericht sind wir deshalb der Frage nachgegangen, welche Rolle die Nutzendenfreundlichkeit und das Erreichen der eigenen Zielgruppen in den vom Prototype Fund geförderten Projekten spielen.
In diesem Blogpost bekommt Ihr einen Einblick, wie der Status Quo zu Usability und Zielgruppenerreichung in den Förderrunden 15 und 16 aussieht (1), welche möglichen Gründe dahinter stecken (2) und wie der Prototype Fund versuchen kann, die Projekte noch besser zu unterstützen (3).
Den vollständigen Evaluationsbericht, in dem die Ergebnisse genauer beschrieben sind, findet Ihr hier.
1 Wie sind Geförderte in den Bereichen Usability und Zielgruppenerreichung aktiv?
Um mehr zu den Aktivitäten zu Usability und Zielgruppenerreichung in den Förderrunden 15 und 16 zu erfahren, haben wir eine Online-Umfrage gestartet und dreizehn Interviews mit Geförderten geführt.
Es zeigt sich ein durchmischtes Bild, wie die Projekte in den beiden Bereichen aktiv sind: Während manche im regen und direkten Austausch mit ihrer Nutzendengruppe sind, holen andere während der Förderphase kein Feedback ein. Auch die Methoden um die Bedürfnisse von Nutzenden in Erfahrung zu bringen, unterscheiden sich stark und reichen von informellen Gesprächen bis hin zum klassischen User Testing. Der Grad der Struktur variiert ebenfalls deutlich; viele Projekte agieren in der Förderphase jedoch eher intuitiv als methodisch strukturiert.
Ähnlich vielseitig sind die Kanäle, über die Feedback eingeholt wird und über die Nutzende sich melden können: Zur Anwendung kommen E-Mails, Kontaktformulare sowie die für FOSS-Projekte üblichen Issue-Tracker in Code-Repositorien, aber auch Soziale Medien, Foren, Chat-Channels und Community-Treffen.
In den Interviews zeigt sich weiter, dass einerseits ein Drittel der Befragten (noch) keine Zielgruppe erreicht. Andererseits werden zwei Drittel der Prototypen von Testanwender*innen der Organisation, in der das Projekt entwickelt wurde, oder von Dritten bereits genutzt.
2 Mögliche Gründe für die Herangehensweise an Nutzendenfreundlichkeit und Zielgruppenerreichung
Dafür, dass in der Förderzeit eher intuitiv und mit weniger Nachdruck mit potenziellen Nutzer*innen gearbeitet wird, lassen sich unterschiedliche mögliche Gründe heranziehen:
Nicht-wirtschaftliche Motivation
Wirtschaftliche Interessen scheinen unter den Befragten eine untergeordnete Rolle zu spielen. Eine zahlende und möglichst große Nutzendengruppe für das eigene Projekt zu gewinnen, verliert dadurch an direkter Notwendigkeit im Vergleich zu proprietären Anwendungen.
Erwartungen an die Zielgruppe
Einige der Projekte der beiden Förderrunden sind besonders für Entwickler*innen von Interesse. Unter Geförderten besteht der Wunsch, dass sich die Zielgruppe bzw. die Community mit einbringt. So würden diese mit Konfigurationen nach ihren Bedürfnissen die Nutzendenfreundlichkeit in den Projekten mit vorantreiben.
Weniger Vorerfahrung mit Design und Öffentlichkeitsarbeit
Ihre eigenen praktischen Erkenntnisse in den Bereichen Design, Usability sowie Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit schätzen die Geförderten als eher gering ein. Diese Verteilung kann, aufgrund von fehlender Vorerfahrung, zu weniger Aktivität in den beiden Fokusbereichen geführt haben.
Begrenzte Ressourcen
Maßnahmen wie extensive A/B-Tests sind teuer; FOSS-Projekte leiden notorisch unter Ressourcenknappheit. Der Prototype Fund setzt durch die vorrangige Ansprache von Softwareentwickler*innen und kurze Förderzeiträume ebenfalls eine enge Grenze für die Projektentwicklung. Das kann dazu führen, dass für bestimmte Aufgaben wenig Kapazitäten vorhanden sind. Zudem ist es möglich, dass in Projektphasen, die nicht (mehr) in den Förderzeitraum fallen, mehr Aktivitäten in den beiden Bereichen stattfinden.
3 Wie unterstützt der Prototype Fund in Punkto Nutzendenenfokus und was kann in Zukunft noch verbessert werden?
Der Prototype Fund unterstützt Geförderte in beiden Bereichen bereits durch individuelle Coachings, verschiedene Online-Sprechstunden zu den Themen User Testing, Community Building und Branding sowie einer Knowledge Base. Auf Basis der Umfrageergebnisse sehen wir sowohl in der Bewerbendenauswahl als auch in der Förderphase Stellschrauben:
Auswahl der Bewerbenden
In der Bewerbendenauswahl kann ein größeres Augenmerk darauf gelegt werden, dass Kompetenzen, die benötigt werden um nutzendenfreundliche Software zu entwickeln und die richtigen Zielgruppen zu erreichen, in den Projekten stärker vertreten sind. Zudem kann in der Bewertung von Bewerbungen mitberücksichtigt werden, dass Projekte beabsichtigen, breitere Nutzendengruppen zu erreichen.
Unterstützung während der Förderung
Inhaltlich kann ein noch größeres Gewicht auf die fachliche Unterstützung gelegt werden. Geförderte können beispielsweise dabei unterstützt werden, ihre Erwartungen an ihre Zielgruppen zu schärfen und gegebenenfalls unrealistische Wünsche, z. B. in Punkto Community-Beiträge, anzupassen. Zusätzlich können Ressourcen, die explizit für weniger technische Aufgaben bereitgestellt werden, die Priorisierung von Nutzenden und Zielgruppenerreichung vorantreiben.
4 Fazit
Generell spielen Nutzendenfreundlichkeit und Zielgruppenerreichung in den geförderten Projekten eine Rolle. Das Gesamtbild ist jedoch sehr heterogen — wie es auch die Projekte der beiden Runden und deren Zielgruppen sind.
Wenn die Rolle der beiden Felder auch weniger zentral ist, als beispielsweise in streng profitorientierten Kontexten, sind Usability und Zielgruppenerreichung dennoch nicht zu vernachlässigen. Damit FOSS-Projekte einen möglichst großen Effekt für möglichst viele Nutzende entfalten können, sind Nutzendenfreundlichkeit und Zielgruppenerreichung zentral. Deshalb sollte beiden Feldern sowohl in der Projektplanung als auch in der Förderung entsprechende Aufmerksamkeit zukommen.